Artikelgewichtsartikel – Was verbirgt sich dahinter?

So manche Dynamics 365 SCM Anwender*in und Berater*in stolpern im Alltag über Feldnamen, die Fragezeichen aufwerfen. Eines davon war für uns das „Artikelgewichtsartikel“ („Catch Weight Item“). Ein Feld, dass vielerorts im System auftaucht. Was sich dahinter verbirgt, wollen wir an dieser Stelle klären.

Ein Beispiel ist einfach aufzubauen und wurde auch bereits bei einem Kunden eingesetzt. Dieser Kunde handelt mit Lebensmitteln, unter anderem mit Leberwurst. Die Leberwürste werden in Stück oder Kartons beim Fleischer eingekauft, in Stück gelagert und verkauft. Die Ware hat aber keinen Stückpreis, sondern einen Kilogramm-Preis. Eine Leberwurst hat kein fixes Gewicht und es gibt eine Toleranz. In dem konkreten Fall muss eine Leberwurst zwischen 600 und 700 Gramm schwer sein.

Im nachfolgenden Beitrag wird erklärt, wie diese Anforderung im Standard abbildbar ist und sich in die Lagerortverwaltungsprozesse (Advenced Warehouse) Abläufe integrieren lässt.

Warum einen Artikel als Artikelgewichtsartikel deklarieren

Bevor wir auf die Einstellungen und den Ablauf eingehen, möchten wir erklären, was die Vorteile sind. Eingangs war erwähnt, dass die Anforderung auch mit einem normalen Artikel abbildbar ist.

Dazu benötigt der Artikel lediglich eine entsprechende Einheitenumrechnung. Die Mengeneinheit für Bestellungen und Aufträge ist Stück, während in Kilogramm gelagert wird. Nun wird 1 Stück bestellt, was nach der Einheitenumrechnung 650 Gramm ist. Bei der Einlagerung wird das Gewicht von 700 Gramm erfasst. Umgerechnet bedeutet das, dass jetzt 1.08 Stück an Lager sind. Wenn es mehrere solcher Abweichungen gibt, werden irgendwann rechnerisch gesehen mehr Stück an Lager sein als es tatsächlich sind.

Bei unserem Kunden kam es deshalb immer wieder zu Fällen, dass das Lager leer war, aber laut Dynamics 365 SCM noch Ware am Lager verfügbar. Diese Fehlmenge würde über eine Lagerregulierung ausgebucht. Unschön ist, dass dies ein Verlust darstellt, obwohl es gar keiner ist.

Artikelgewichtsartikel beugen diesem Problem vor. Der Lagerbestand hat zwei Einheiten:

  1. Das Gewicht des Artikels
  2. Die Anzahl der Artikel an Lager

Anhand eines Beispiels ist der obige Sachverhalt wie folgt abgebildet. Sie haben 10 Würste an Lager und ein Gesamtgewicht von 6 Kilo 400 Gramm. Die Würste wiegen also im Schnitt weniger als 650 Gramm. Mit dem obigen Ansatz könnten nur 9 Würste ausgelagert werden. Für die zehnte würde entweder einen Fehler kommen, wenn die Stückeinheit keine Nachkommastellen zulässt, oder es würden dem Kunden nur 9.85 Stück gesendet. Mit einem Artikelgewichtsartikel besteht dieses Problem nicht, denn Dynamics 365 SCM weiss, dass 10 Stück an Lager sind. Der Lagerbestand lässt sich sauberer abbilden.

Ein weiterer Vorteil wird in Kapitel 3.3 Finanzintegration erklärt.

Artikel einrichten

Die Artikel, welche Sie in Stück beziehen und verkaufen aber nach Gewicht verrechnen, werden im Dynamics 365 SCM nach der Gewichtseinheit gelagert und nicht mit der Stückeinheit. Wichtig ist, dass der Artikel nur beim Anlegen als Artikelgewichtsartikel deklariert werden kann.

Allgemeine Einstellungen

Als nächstes müssen Sie die Einheitenumrechnungen hinterlegen für Stück in Gramm oder Kilogramm. Eine Leberwurst hat eine Nominalmenge von 650 Gramm pro Stück. Sie können auch eine andere Mengeneinheit als Stück verwenden, wie zum Beispiel Meter.

Auf dem freigegeben Produkt, müssen Sie in den Lagerverwaltungsparameter diese Einstellungen vornehmen:

  1. Lagereinheit: Entspricht der Gewichtsmenge, in unserem Fall «Gramm»
  2. Artikelgewichtseinheit: Nach welcher Einheit einkauft und verkauft wird
  3. Mindestmenge: Wieviel muss ein Stück minimal wiegen
  4. Höchstmenge: Wieviel darf ein Stück maximal wiegen

Die nominelle Menge ergibt sich aus der Einheitenumrechnung.

Artikel für die WHS Abläufe einrichten

Für die WHS Abläufe müssen Sie eine Artikelgewichtsartikel-Handhabungsrichtlinie erstellen und auf dem freigegeben Artikel hinterlegen. Über diese steuert Dynamics 365 SCM bei welchem Prozessschritt das Gewicht in welcher Form erfasst wird. Zum Beispiel können Sie das Gewicht beim Wareneingang pro Stück oder pro Ladungsträger erfassen. Wenn Sie mit einer Ladung tausend Leberwürste erhalten würden und müssten jede Wurst einzeln wiegen, ist der Aufwand grösser.

Beim Warenausgangsprozess können Sie das Gewicht entweder bei der Entnahme über das mobile Gerät erfassen oder im späteren Verpackungsschritt über die Verpackungsmaske. Es gibt noch einige weitere Einstellungen, welche die Umlagerung und Produktionsabläufe beeinflussen, auf welche wir nicht eingehen.

Finanzintegration

Die letzte Einstellung betrifft die Einstellungen für die finanzielle Buchung und zeigt auch einen weiteren Vorteil der Artikelgewichtsartikel auf. In den Buchungseinstellungen müssen Sie zwei Konten angeben. Einmal ein Artikelgewichts-Verlustkonto und ein Artikelgewichts-Gewinnkonto.

Diese Konten benötigt Dynamics 365 SCM, um Gewichtsabweichungen zu verbuchen, wenn der Lagerbestand auf null fällt es aber immer noch Gewicht an Lager hat. Nehmen wir an, dass Sie 10 Stück an Lager haben mit einem Gesamtgewicht von 6 Kilo 800 Gramm. Bei der Entnahme wird ein Gewicht von 6 Kilo 600 Gramm festgestellt, also 200 Gramm zu weniger wie im System erfasst. Da es keine Stück mehr an Lager hat, weiss das System, dass diese 200 Gramm nicht mehr existieren und bucht die 200 Gramm über ein Verlustkonto aus.

Dasselbe funktioniert auch umgekehrt, wenn Sie bei der Entnahme 6 Kilo und 900 Gramm erfassen. Die 100 Gramm extra, bucht das System auf eine Gewinnkonto.

Der Logistikprozess

Im folgenden Abschnitt stelle ich Ihnen den Ein- und Verkauf von Artikelgewichtsartikel vor.

Bestellung und Wareneingang

Sie bestellen diese Artikel wie alle anderen auch. Der Unterschied ist, dass Sie die Menge nicht über das Mengenfeld angeben, sondern über die Artikelgewichtsmenge. Das Mengenfeld ist gesperrt und wird automatisch berechnet.

Beim Wareneingang fragt das System nach dem Gewicht (in diesem Fall nach dem Gesamtgewicht aller 5 Stück).

Ist das Gewicht nicht innerhalb der Toleranz, wird ein Fehler ausgegeben und die Benutzer*innen müssen das Gewicht erneut eingeben.

Wir haben in diesem Fall 3.5 Kilogramm erfasst, also 250 Gramm mehr also die nominelle Menge ist. Der Wert ist in den Buchungen korrekt erfasst und wird für die Buchung des Lieferscheins und der Rechnung verwendet.

Kundenauftrag und Kommissionierung

Wie auch bei der Bestellung, kann auf der Auftragsposition die Menge nicht angegeben werden, sondern die Artikelgewichtsmenge. Dynamics berechnet das Gewicht anhand der Einheitenumrechnungen.

Die Reservierung erfolgt auch über die Stückzahl und nicht über das Gewicht.

Bei der Kommissionierung müssen die Lagermitarbeiter*innen neben der Stückzahl auch das Gewicht angeben, wie schon bei der Einlagerung.

Das System prüft, ob das Gewicht innerhalb der Toleranz liegt, welche auf dem Artikel hinterlegt ist (siehe Kapitel 3.1). Entnommen haben wir 3 Kilo und 450 Gramm, also 50 Gramm weniger als an Lager lagen. Auf dem Lieferschein ist die gelieferte Menge ersichtlich und bei der Rechnungsbuchung wurde die gewogene Menge fakturiert.

Fehlbestand verbuchen

In Kapitel 3.3 wurde erläutert, wie Dynamics vorgeht, wenn es von einem Artikelgewichtsartikel kein Stück mehr an Lager hat aber noch Gewicht. In meinem Beispiel in diesem Kapitel haben wir 5 Stück mit einem Gewicht von 3500 Gramm eingebucht und 5 Stück mit einem Gewicht von 3450 Gramm.

Dynamics hat die 50 Gramm, welche noch an Lager liegen automatisch ausgebucht.

Fazit

Die Artikelgewichts-Funktion ist eine sehr einfache und durchdachte Lösung. Gerade die Integration in die WHS Abläufe ist gelungen und ermöglicht es, diese Artikel ohne Mehraufwand zu verwalten.

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